Das zukünftige "Bierprogramm"

Im Dresdner Süden befindet sich die wichtigste und traditionsreichste Ausbildungsstätte für die theoretische Berufsausbildung der künftigen Brauer und Mälzer in der DDR, die Berufsschule der Brauerei- und Molkerei-Industrie. Die Kombination zwischen Bier und Milch kam aus sehr praktischen Erwägungen Ende der 50er Jahre zustande. Von Seiten der Milchindustrie waren ähnliche Bestrebungen in den ersten Nachkriegsjahren im Gange zur Ausbildung des Nachwuchses, denn die Berufsausbildung war wie in der Brauereiindustrie früher außerordentlich zersplittert. Es ging also um eine Konzentration. Zwei Einrichtungen zu schaffen lohnte sich nicht. Die Brauer hatten bis 1957 beispielsweise 30 Internatsplätze und eine einzige Klasse. So wurden beide kleine Schulen zu einem Objekt zusammengeschlossen, zur Berufsschule der Brauerei- und Molkereiindustrie. Die Zahl der Schüler stieg bis 1982 auf 1500 an. Hinzu kommen noch 63 Lehrlinge der Braukunst, die in Ludwigslust und Berlin ausgebildet werden.

Das Berufsbild des Brauers hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten grundsätzlich gewandelt. Die landläufigen Vorstellungen, die in der Bevölkerung verbreitet sind, hängen immer noch an jenem alten Bilde des beleibten und mit einer Lederschürze bekleideten Brauers, der Gemächlichkeit und Gelassenheit verbreitet, zwischen den hölzernen Fässern ein einladendes Glas Bier in der Hand. Davon kann in der modernen Brauerei nicht mehr die Rede sein. Die Automatisierung hat auch in diesem Wirtschaftszweig Einzug gehalten, der Anteil der körperlichen Arbeit, der vor allem Reinigungsarbeiten betraf (noch vor wenigen Jahren 80 Prozent des Arbeitsvolumens), wurde stark reduziert. Automatische Reinigungsanlagen übernehmen solche Arbeiten. Was also kennzeichnet den heutigen Brauer? Zunächst rückt die Biochemie immer mehr in den Vordergrund bei der Ausbildung. Die biochemischen Vorgänge beim Brauprozess, die Regulierung durch Zusatz von Enzymen und anderen Stoffen verlangt ein höheres Maß an theoretischem Wissen. Nicht alles ist mit Messen zu erfassen, genaue Kenntnisse sind erforderlich. Hierzu kommt Maschinenlehre. Eine Vielzahl von Maschinen sind zu kennen und zu beherrschen. Der wissenschaftlich gebildete Brauer löst immer mehr den empirisch orientierten ab, ein Prozess, der durch den Neubau von Braustätten und durch die Modernisierung der bestehenden Betriebe bestimmt und beschleunigt wird. Von den etwa 200 Brauereien in der DDR sind die knappe Hälfte hochmodern ausgerüstete Produktionsstätten, die neueste Erfahrungen berücksichtigen. Daneben gibt es Brauereien in Größenordnungen bis zu Hausbrauereien, die besonders im Bezirk Suhl zu finden sind und Tradition haben. Beispielsweise existieren in Steinbach bei einer Einwohnerzahl von nicht mehr als 6000 allein fünf solcher kleinen Brauereien. Die Entwicklung jedoch geht zur Großproduktion und zu einer beträchtlichen Erhöhung der Arbeitsproduktivität, wie schon dargelegt würde. Vom Brauereifacharbeiter fordert die Zukunft eine weitaus größere Verantwortung, da allein schon die Anlagenbetreuung einen bedeutenderen Umfang hat. Er hat ganz andere Werte zu hüten als in der Vergangenheit. Einer der modernen Gärreaktoren zum Beispiel bringt mit einer Hektoliterzahl bis zu 5000 die Jahresproduktion einer kleinen, traditionellen Brauerei. Ein misslungener Sud wäre ein enormer Verlust für den Betrieb. Die Kontrolle bestimmter Parameter setzt Genauigkeit und. Verantwortungsbewusstsein voraus. Die Freibaureaktoren ermöglichen eine wesentliche Verkürzung des Reifeprozesses. Waren bislang vier bis sechs Wochen erforderlich, schaffen es die Reaktoren aufgrund der neuen Technologie ohne Qualitätsverlust in zwei bis drei Wochen. Bei dieser kurzen Zeit kommt es dann tatsächlich auf jeden Tag an und auf eine genaue Einhaltung der Vorschriften.

Diese rasche Entwicklung hat auch dazu geführt, dass die Bierherstellung und die Abfüllung des Biers in Flaschen als selbständige Abteilungen getrennt wurden. Das beeinflusst auch die Ausbildung. Die Lehrlinge werden im Grundberuf als Facharbeiter für Anlagentechnik mit der Spezialisierung für Getränkeabfüllung ausgebildet. Der Brauer ist für die Flaschenabfüllung nicht mehr zuständig, wohl aber noch für die Abfüllung ins Fass und in Tanks. Auch diesem neuen Berufszweig für Getränkeabfüllung kommt eine wachsende Bedeutung zu, deshalb schon, weil auch die Nachfrage nach alkoholfreien Getränken ständig zunimmt. Hochleistungsabfüllanlagen werden zunehmend installiert. Früher konnte man mit solchen Anlagen bis zu 9000 Flaschen in der Stunde füllen, jetzt sind es, wie schon gesagt, stündlich 48000. Und die Entwicklung geht weiter. Da ist nichts mehr mit Handarbeit zu machen, und jede Störung im Ablauf bringt enormen Ausfall. Deshalb müssen Spezialisten herangebildet werden zur Pflege, Kontrolle, Reinigung und Instandhaltung dieser leistungsfähigen Maschinen. Eine weitere Trennung vollzog sich. Wurden früher die Brauer in den Wintermonaten in der Mälzerei eingesetzt, die damals noch zu jeder Brauerei gehörte, ist durch die Herausbildung der leistungsfähigen Handelsmälzereien ein solcher "Wechseldienst" nicht mehr möglich. Der Mälzer hat heute mit dem Brauen nichts mehr zu tun, wenngleich die Berufsbezeichnung noch immer "Brauer / Mälzer" heißt. Auch in diesem Beruf haben sich Veränderungen vollzogen, wenn auch nicht so entscheidende und grundlegende wie beim Brauereifacharbeiter. Technologische Veränderungen sind zu vermerken: Die früheren Tennenmälzereien wurden durch die Kastenmälzereien und andere moderne Mälzungssysteme abgelöst. Ziel all dieser Veränderungen ist die Beseitigung oder zumindest die Reduzierung der aufwendigen und wenig angenehmen Handarbeit. Auch in den Mälzereien wird umfangreich mechanisiert, die biochemischen Vorgänge jedoch bleiben unverändert.

Was macht den Beruf des Brauereifacharbeiters oder kurz des Brauers so interessant? Viele Gebiete vereinigten sich in dieser Tätigkeit. Der Umgang mit komplizierten Maschinen setzt technischen Verstand und entsprechende Kenntnisse voraus. Die Biochemie bei der Würzeherstellung oder beim Vergären ist weitaus fesselnder und vielfältiger als beispielsweise in der Kelterei. Die Mikrobiologie spielt eine wichtige Rolle, und interessante, neue Technologien, die schon angedeutet wurden, halten den Beruf lebendig und abwechslungsreich. Für aufgeschlossene junge Menschen ist es ein idealer Beruf, der eine sichere Zukunft hat. Die weitere Qualifizierung der Facharbeiter ist möglich durch ein Studium an der Ingenieurschule in Dippoldiswalde/Sa. oder bei entsprechenden Voraussetzungen an der Humboldt-Universität zu Berlin, Sektion Nahrungsgüterwirtschaft und Lebensmitteltechnologie, Fachrichtung Gärungstechnologie. Die Perspektive in der DDR sieht ein Ansteigen des Prokopfverbrauchs an Bier auf etwa 150 Liter vor. Das setzt natürlich eine große Anzahl von Fachleuten und dementsprechend auch Lehrlingen voraus. Das Ziel ist aber, nicht nur viel Bier zu produzieren, sondern qualitativ hochwertiges. Das "Vollbier hell" und das "Pilsner" werden auch künftig die wichtigsten und meistgetrunkenen Sorten bleiben. Dazu sollen aber in steigendem Maße anspruchsvolle Biersorten auf den Markt kommen, Spezialbiere mit längerer Lagerfähigkeit (ein Vierteljahr), die den Produzenten wie den Konsumenten ein "Polster" (Bevorratung für "Durststrecken", wie beispielsweise die Sommermonate) gestatten. übrigens sind dunkle Biere wieder im Kommen, und sie werden, wenn auch nicht bestimmend, einen höheren Prozentsatz in der Produktion der Zukunft einnehmen. Das "Jubiläumsbockbier" von 1974 zum 25. Jahrestag der DDR zum Beispiel war ein dunkles Bier. Auch an die Herstellung des "Märzenbieres" ist gedacht, das zwischen Hell und Dunkel liegt und gegenwärtig lediglich in Saalfeld gebraut wird. Eine solche Entwicklung wird bis zum Abschluss der Rationalisierungsmaßnahmen in diesem Wirtschaftszweig eine wachsende Zahl an Brauereifacharbeitern fordern. Auch die daraus entwickelten Berufe, die anfangs charakterisiert wurden, benötigen Nachwuchs, Anlagentechniker werden gebraucht zur Beherrschung der immer komplizierter werdenden Brauereitechnik, Mälzereien warten auf junge Mälzer, um ihre großen Aufgaben erfüllen zu können. Die Dresdner Berufsschule ist auf diese Aufgabe vorbereitet und schafft durch die Ausbildung der Lehrlinge die Voraussetzungen, damit das umfangreiche "Bierprogramm" in unserer Republik verwirklicht und künftig der Bedarf der Bevölkerung in allen Jahreszeiten, vor allem im Sommerhalbjahr, gedeckt werden kann. Und das nicht etwa mit "Galoppbieren", sondern mit einem anspruchs- und qualitätvollen Gerstensaft!